2048 – ein etwas persönliches Statement aus himmlischen Sphären

Claudia Wirthlin, fürs Lokalkomitee Basel

Im Jahr 2048 schaue ich aus sicherer Distanz getrost durchs lichte Blau des Himmels hinunter auf diesen kleinen Fleck Schweiz, auf dem ich mich früher – mal still und auf leisen Sohlen, mal laut stampfend und ungestüm – im Viervierteltakt bewegt habe und den ich schon längst mit meiner Asche nähre.

Und – Leute! – ich beobachte Unglaubliches, ja Unerhörtes, je näher ich heranzoome:

  • Der unsäglich arrogante Franzose, der anno 2024 in Clos du Doubs beim Rasenmähen keine Grenzen kannte und gegen sämtliche Regeln des guten Benehmens verstiess, versteckt sich an Feier- und Sonntagen hinter einer riesigen Schweizerfahne und studiert zum xten Mal liebevoll seinen roten Pass, der bereits langsam zerfleddert.

  • In fast allen Baselbieter Gemeinden ist an Sonntagen ganz schön was los: hordenweise junge und alte Gestalten, Familien mit und ohne Kinder, mit und ohne Migrationsvorsprung, promenieren in grauen synthetischen Trainerhosen auf den herausgeputzten Dorfboulevards. Es sind Schweizer Bürger*innen – was denn sonst? – auf dem traditionellen Sonntagsspaziergang.

  • Vergeblich halte ich nach Dorfbeizen wie «Le Cheval Blanc», «Zur Krummen Eich» oder «Osteria Unione da Davide» Ausschau. Seit es keine Einbürgerungstests mehr gibt, dienen ihre fantasievollen Namen niemandem mehr, und sie sind nach und nach der Vergessenheit anheimgefallen. Die zu den Namen gehörenden Lokale sind im ganzen Land eingegangen. Das polternde Stammpublikum von früher ist wohl längst unter dem Boden, respektive schmort in der Hölle. (hoffentlich)

  • Ein scharfer Blick in die Gemeinderatsstuben landauf landab bringt es zu Tage: der grassierende Amtsschimmel hat die schlimmen Auswüchse im Einbürgerungswesen von alleine weggefressen. Ja, es gibt gar keine Einbürgerungsbehörden mehr! Und alle, welche heute – im Jahr 2048 – auf diesem winzigen Fleck dort unten leben wollen und erst recht jene, die dort geboren werden, können ganz einfach den Schweizer Pass erhalten. Das Schweizer Bürgerrecht ist kein Privileg mehr, Schweizer*innen sind endlich Menschen wie alle andern auch, sie sind zudem sowieso Weltenbürger*innen, respektive Bürger*innen dieser einen Erde.

  • Was seh ich da plötzlich? Da tobt doch ein Fest auf dem Bundesplatz in Bern! Moment, was soll denn das? Ein kunterbuntes Durcheinander: Djembés, Alphörner, ein Musiker mit der Saz, eine tamilische Tanzgruppe in Aktion, und dort drüben, tanzen sie da nicht Hala? Da könnt ich doch glatt ein paar Runden mithalten, wenn ich nicht – zugegebenermassen etwas vorzeitig – schon hier oben gelandet wäre. Kuhglocken dürfen natürlich (leider) nicht fehlen, irgendwo ertönt Le Ranz des Vaches, Geissen meckern. Fehlt nur noch das Matterhorn, ein kitschiger Sonnenuntergang und – Gott bhüet mi vor em Hüenervogu – dr Gölä. Meine Angst bleibt gottseidank unbegründet. Da drüben dafür erkenne ich jetzt deutlich die schon leicht ergraute Shqipe Sylejmani, wie sie eine albanisch-schweizerische Trachtengruppe auf den Bundesplatz einweist. Wenig später liest sie auf der Bühne vorne links aus ihrem neusten Buch: äusserst empfehlenswert, kann ich nur sagen! Yusuf und Samir – sie gehören jetzt zu den sogenannt Hochaltrigen – tauschen sich in der Mitte des Platzes über irgendwelche Filmprojekte aus. Sie können es offenbar einfach nicht lassen. (Ehrlich gesagt hab ich so meine Zweifel, ob da noch was draus wird.) An einem Tisch daneben bietet die bekannte Menschenrechts-Anwältin Lucía – ich kenne sie seit Kindsbeinen und bin mächtig stolz darauf – gratis ihre Dienste an. Schade eigentlich nur, dass sowas heutzutage immer noch nötig ist!

Langsam dämmert es mir da oben: heute ist doch der 12. September 2048! Gerade als verblichene Historikerin müsste ich ja wissen, dass am 12. September 1848 auf dem Fleck da unten die erste Bundesverfassung in Kraft trat. – Ja genau, bingo: bei diesem Fest muss es sich um das 200-Jahr-Jubiläum handeln! Mir wird ganz feierlich zumute. Wow, ein Demokratiefest also, und so wie’s aussieht erst noch ein echtes Vierviertel-Demokratiefest!
«Vive la démocratie quattro/quarti!» brülle ich von meiner Wolke runter, egal ob sie es dort unten hören oder nicht.  

Uffa, nach all diesen Beobachtungen brummt mir fast ein wenig der Schädel. Ich bette mich zur Erholung in die Mitte meiner Wolke, hänge meinen Gedanken nach und merke, wie es mich irgendwie glücklich macht, dass ich mich damals mit vielen vielen vielen andern im Viervierteltakt nach besten Kräften bewegt habe.

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