Der Initiativtext
Eidgenössische Volksinitiative « Für ein modernes Bürgerrecht (Demokratie-Initiative) »
Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert:
Art. 38
2Er [der Bund] erlässt Vorschriften über die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern.
Anspruch auf Erteilung des Bürgerrechts auf Gesuch hin haben Ausländerinnen und Ausländer, die:
Initiativkomitee
Arber Bullakaj
Nadra Mao
Andrin Eichin
Tarek Naguib
Hilmi Gashi
Jorge Cancio
Rebecca Angelini
Stefan Manser-Egli
Venkatesh Shanta
Elias Studer
Lisa Mazzone
Mustafa Atici
Marco Kistler
Ruth-Gaby Vermot-Mangold
Melinda Nadj Abonji
Sanija Ameti
Paul Rechsteiner
Sibel Arslan
Migmar Dhakyel
Simon Küffer
Rosemarie Weibel
Mario Amato
Agnese Zucca
Emine Sariaslan
Samir Riad Jamal Aldin
Sylvie Makela
Erläuterungen
Argumente
In der Schweiz zu Hause
Rund zwei Millionen Menschen in der Schweiz – ein Viertel der Bevölkerung – haben keinen Schweizer Pass. Sie sind hier geboren, als Kinder in die Schweiz gekommen oder als Erwachsene eingewandert. Sie sind in der Schweiz zuhause und haben hier ihren Lebensmittelpunkt. Es ist Zeit, diese Menschen als vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft anzuerkennen.
Menschenwürde
Wer auf Dauer von der gleichberechtigten Zugehörigkeit ausgeschlossen bleibt, wird letztlich in seiner Existenz herabgewürdigt. Das geltende Bürgerrecht schliesst gewisse Gruppen über lange Zeit, oftmals sogar über Generationen hinweg aus. Ein Gemeinwesen, das einen Teil seiner Mitglieder langfristig ausschliesst, verliert seine Legitimation.
Vollwertige Demokratie
Wer dauerhaft in der Schweiz lebt, hat ein Recht auf vollwertige politische und gesellschaftliche Teilhabe. Der Weg dazu ist die Einbürgerung: das Recht, an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, auf einen sicheren und unbedingten Aufenthalt und vor allem das Recht, als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft anerkannt zu werden.
Gleiche Rechte
Demokratie bedeutet, politische Auseinandersetzungen auf Augenhöhe auszutragen. Dieser Grundsatz wird verletzt, solange drei Viertel der Bevölkerung über den restlichen Viertel bestimmen kann. Demokratie verlangt, dass alle Betroffenen die gleichen politischen Rechte haben: No taxation without representation.
Faire Kriterien statt Willkür
Die Einbürgerung soll nicht länger ein Akt der Willkür sein, sondern anhand objektiv messbarer Kriterien erfolgen: Wer seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz lebt, nicht schwerwiegend straffällig geworden ist, die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet und über Grundkenntnisse einer Landessprache verfügt, hat einen Anspruch auf Einbürgerung.
Paradigmenwechsel: Anspruch statt Bittsteller:in
Die Volksinitiative fordert einen Paradigmenwechsel im Schweizer Bürgerrecht: Neu sollen ausländische Staatsangehörige, die in der Schweiz zu Hause sind, einen Anspruch auf Erteilung des Bürgerrechts haben. Damit erhöht die Initiative auch bei denjenigen die Bereitschaft zur Einbürgerung, die sich bereits heute einbürgern lassen könnten, aber es nicht tun, weil sie nicht Bittsteller:in sein möchten, oder ihnen das Gefühl vermittelt wird, nicht Teil der Schweiz zu sein.
Verwirklichung der Grundrechte
Die Staatsbürgerschaft umfasst mehr als bloss das Stimm– und Wahlrecht. Sie garantiert Aufenthaltssicherheit, schützt vor einer Ausweisung (und sichert damit auch das Recht auf Ehe und auf Familienleben) und ermöglicht Reise- und Bewegungsfreiheit – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Nur durch die Staatsbürgerschaft sind die Grund- und Menschenrechte und die politische Gleichheit wirklich bedingungslos gewährleistet: die Freiheit, sich zu versammeln und seine Meinung zu äussern, eine Familie zu gründen und mit dieser zu leben, sich wirtschaftlich voll entfalten zu können, sich in der Schweiz frei zu bewegen, niederzulassen oder international zu reisen – ohne, um das Aufenthaltsrecht fürchten zu müssen oder gar ausgewiesen zu werden.
Völkerrechtliche Verpflichtungen
Die UN-Menschenrechtskonventionen verankern ein Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit. Die Schweiz ist darum verpflichtet, das Recht von Kindern, Frauen, Menschen mit einer Behinderung oder Persons of Color auf Staatsangehörigkeit zu schützen. Durch die Anerkennung des Rechts auf Einbürgerung würde die Schweiz diese Pflicht erfüllen.
FAQ
Häufig gestellte Fragen
Die Initiative wird von einer breiten zivilgesellschaftlichen Allianz getragen. Diese reicht von Parteien und Gewerkschaften über Kampagnen- und Migrationsorganisationen bis zu engagierten Persönlichkeiten. Was uns eint, ist nicht eine bestimmte politische Ausrichtung, sondern der Einsatz für ein modernes Bürgerrecht.
Die Schweiz hat eines der restriktivsten Einbürgerungsgesetze in Europa. Die Hürden sind sehr hoch, beispielsweise die kommunalen und kantonalen Wohnsitzfristen, Kosten von mehreren tausend Franken, oder die Tatsache, dass man sich vor einer Gemeindeversammlung präsentieren muss. Abgesehen davon wird das Verfahren von vielen Menschen als willkürlich und schikanös empfunden, insbesondere wenn sie in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind.
Daran ändert sich mit der Initiative nichts. Sie sieht vor, dass man sich “auf Gesuch hin” einbürgern lassen kann, wenn man die objektiven Kriterien erfüllt. Es gibt keinerlei Automatismus.
Das eine tun und das andere nicht lassen. Leider hatten es auch kleinste Verbesserungen im Parlament bisher schwer. So wurde zuletzt ein Vorstoss abgelehnt, der einige bürokratische Hürden bei der erleichterten Einbürgerung für die dritte (!) Generation abbauen wollte. Für uns ist deshalb klar: Es braucht eine Grundsatzdiskussion und einen Paradigmenwechsel, um langfristig Veränderungen im Bürgerrecht anzustossen. Die Initiative ist ein erster Schritt dazu, parallel zu parlamentarischen, kantonalen und lokalen Vorstössen.
Das mag sein, und doch: “C’est le ton qui fait la musique”! Wenn es uns gelingt, in den nächsten Jahren breite Bevölkerungsschichten für das Anliegen zu mobilisieren, ist vieles möglich. Etwa ein guter Gegenvorschlag im Parlament, oder eine schlagkräftiger Abstimmungskampf auf der Strasse. Vergessen wir nicht: Viele Errungenschaften wie die AHV, das Frauenstimmrecht, und zuletzt die Ehe für alle haben in der direktdemokratischen Schweiz ihre Zeit und nicht selten auch mehrere Anläufe gebraucht, bevor sie mehrheitsfähig wurden.
Die “Überfremdung” und die “Ausländerfrage” werden seit Jahrzehnten von populistischen Stimmungsmachern bewirtschaftet, von Schwarzenbach bis zu Blocher – auch ganz ohne fortschrittliche Vorstösse. Es ist an der Zeit, den Abschottern und Nationalisten eine eigene Vision der modernen Schweiz entgegenzuhalten: Eine Schweiz, in der alle, die hier leben, dazugehören, teilhaben und mitbestimmen können.
Es ist einer Demokratie unwürdig, Menschen aufgrund von Armutsbetroffenheit von den politischen Rechten auszuschliessen. Der Zugang zum Bürgerrecht darf deshalb nicht von Einkommen oder Vermögen abhängig gemacht werden. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Schweiz sogenannte Armengenössige von der Demokratie ausgeschlossen – ein Missstand, der später überwunden wurde.
Die Niederlassungsbewilligung (C) ist erst seit der letzten Verschärfung des Bürgerrechtsgesetzes vor wenigen Jahren eine Voraussetzung für die Einbürgerung. Dafür gibt es keinen Grund, wer dauerhaft hier lebt und die objektiven Kriterien erfüllt, soll sich einbürgern lassen können.
Viele Menschen, die seit Jahrzehnten in der Schweiz leben und arbeiten, zum Wohlstand und dem gesellschaftlichen Leben beitragen, verfügen nicht über die Zeit, die Ressourcen und den Bildungshintergrund, die es für weitergehende Sprachnachweise braucht. Sie damit faktisch von der Einbürgerung auszuschliessen, ist einer modernen Demokratie unwürdig.
Die Initiative sieht vor, dass sich einbürgern lassen kann, wer die objektiven Kriterien erfüllt und nicht schwerwiegend straffällig geworden ist. Sie will damit verhindern, dass Menschen aufgrund von Bagatellen die Einbürgerung verwehrt bleibt. Um auch hier eine einheitliche Regelung anstelle der heute sehr unterschiedlichen und nicht selten willkürlichen Handhabung zu schaffen, knüpft die Initiative an den Begriff der längerfristigen Freiheitsstrafe im geltenden Ausländer- und Integrationsgesetz an.
Die Einbürgerung gewährleistet den vollen Genuss der Grund- und Menschenrechte und damit die politische und soziale Teilnahme unter sämtlichen Aspekten: Mitsprache bei Abstimmungen und Wahlen auf allen institutionellen Ebenen, ein sicherer und bedingungsloser Aufenthalt, Niederlassungs-, Reise- und Wirtschaftsfreiheit, und ganz allgemein die Anerkennung als volles Mitglied der Gemeinschaft.
Einige Kantone und Gemeinden kennen ein allgemeines Stimmrecht auf Gemeinde- bzw. Kantonsebene unabhängig von der Staatsangehörigkeit, einige Gemeinden auch das passive Wahlrecht. Wir begrüssen selbstverständlich jegliche Anstrengung in Richtung umfassendere Mitbeteiligung am demokratischen Leben seitens aller, Einwohner:innen mit und ohne Schweizerbürgerrecht.